Religion und Sexualität

We fight, We live, We love

Written by Straight Redaktion

3. Januar 2017

Geschlecht, Sexualität und Religion. In allen Weltreligionen gibt es moralische Grenzen in Sachen Geschlecht und Sexualität. Der Rahmen ist klar gesteckt, Überschreitungen führen zum Konflikt. Jedes Abweichen von Heterosexualität wird be -und verurteilt. Im schlechtesten Fall übernehmen Staaten die Haltung der Religionen und bestrafen‚ widernatürliche‘ Verhaltensweisen, im besten Fall ignoriert der Staat religiöse Einflüsse und akzeptiert oder toleriert Menschenrechte. Was ist das Problem der Religionen? Mit dem Zuzug von Flüchtlingen aus muslimisch geprägten Ländern wird diese Frage diskutiert. Wir haben für unser Doppelausgabe von STRAIGHT Magazine diese und weitere Fragen rund an den Philosophen und Kulturwissenschaftler Bernd Draser* weitergeben. Es folgen Auszüge aus dem Gespräch von Jasmin Acar mit Bernd Draser.

 

Sexualität und Religion sind eng miteinander verknüpft und werden dennoch oft als Kontrast empfunden. Gibt es so einen Kontrast überhaupt?

Nein, solch ein Kontrast existiert nicht. Religiöses Verhalten sucht von Anfang an symbolische Ausdrucksformen. Die sind natürlich der Lebenswelt der Menschen entliehen – und das naheliegendste sind nun einmal Essen, Trinken und Sex. Das sind die zentralen Elemente, die den menschlichen Alltag ausmachen. Deshalb ist es gar nicht überraschend, dass sie vom religiösen Bereich adaptiert werden. Das geht deutlich weiter als bei den monotheistischen Religionen, die ja relativ jung sind. Die Religionsgeschichte selbst geht ja zehntausende Jahre zurück und führt bis in die Frühzeit des Menschen. Schon bei den Neandertalern lässt sich religiöses Verhalten in Form von Bestattungsritualen nachweisen; ein Bestattungsritual macht natürlich nur dann Sinn, wenn eine Vorstellung von Wiedergeburt oder irgendeiner Form des Nachlebens, von einer Bedeutsamkeit des Todes mitspielt. Deshalb gibt es diese symbolischen Welten, die man schon in der Urgeschichte als sexualisiert erkennen kann. Schon in den Höhlenmalereien spielt sexuelle Symbolik immer wieder eine Rolle, auch in den frühesten Menschendarstellungen von vor 30.000 bis 40.000 Jahren, also zum Beispiel die Venus von Willendorf und die Venus vom Hohlefels mit den großen Brüsten, den üppigen Hüften und der überdimensionierten Scham. Religion und Sexualität sind von Anfang an ganz eng verknüpft. Leben und Tod, das zyklische der Natur, die Sexualität und die Nahrung – das sind die Bildwelten, die das Religiöse von Anfang an geprägt haben. Es gibt keine Religion, in der Sexualität nicht in irgendeiner Weise symbolische Bedeutung hätte und nicht in irgendeiner Weise reglementiert wäre. Von Beginn an spielt Sexualität eine wesentliche Rolle in den Religionen.

Stichwort Homosexualität. Warum tut sich das Göttliche damit so schwer?

Das Göttliche tut sich damit gar nicht schwer – gerade wenn man sich die griechischen oder orientalischen Götter anschaut. Der jüdisch-christliche Gott hingegen schon. Die monotheistischen Religionen insgesamt haben da Vorbehalte, aber die Religiosität als Ganzes überhaupt nicht. Im Christentum hat sich sehr früh die Beschränkung auf die monogame heterosexuelle Beziehung als Urbild der Ehe durchgesetzt. Vor allem Paulus, der Apostel, setzte sich gegen die heidnische Mitwelt ab, in der sich das Christentum durchsetzen sollte. Deshalb wetterte er insbesondere gegen die Knabenliebe und die Freizügigkeit.Paulus tendierte auch zur Frauenfeindlichkeit. Man stößt im Korintherbrief der Bibel auf eine Stelle, wo er fordert, dass man Frauen, die sich den Kopf nicht bedecken, die Haare abscheren soll. An anderer Stelle sagt Paulus, dass die Frau in der Gemeinde schweigen soll.

Wenn ich mir als lesbische Frau die vermeintlich tolerante Antike anschaue, lässt sich dann sagen, dass früher alles besser war?

Man neigt dazu, die klassische Antike zu idealisieren. Aber auch in der Antike war Sexualität stark reglementiert. Gerade im klassischen Griechenland ist Sexualität zuallererst die männliche Sexualität. Die Sexualität der Frauen findet nicht statt, höchstens in der Literatur. Im „Symposion“, Platons Lehre vom Eros, bekommt die weibliche Sexualität eine überraschende Prominenz. Gerade die weibliche Homosexualität findet dort eine der wenigen Erwähnungen in der griechischen Antike. Sie ist aber nicht ganz positiv besetzt, da sie ausgerechnet in der Rede des Komödiendichters Aristophanes ihren Platz findet.
Aristophanes erklärt die geschlechtlichen Orientierungen dadurch, dass es früher drei Geschlechter gegeben habe: Doppelgeschlechter, die so genannten Kugelmenschen, also Mann/Mann, Frau/Frau und Frau/Mann. Von den Göttern wurden diese Kugelmenschen in zwei Teile gespalten, so dass es fortan nur noch zwei Geschlechter gab, aber eben mit drei geschlechtlichen Orientierungen, immer hin zu dem Part, von dem man getrennt wurde. Es gab also eine ursprüngliche männliche Homosexualität, eine ursprüngliche Heterosexualität und eine ursprüngliche weibliche Homosexualität. Diese wird aber abgewertet. Die einzig tugendhafte, angesehene Sexualität war die männliche Homosexualität. Und warum? Weil dabei keine Frauen vorkommen.

Das ist ja frech! Wie bewertet Aristophanes die weibliche Homosexualität in seiner Rede?

Er sagt ganz klar, dass Männer, die Männer lieben, die tugendhaften seien. Männer, die Frauen lieben und Frauen die Männer lieben, seien die typischen Ehebrecher. Weibliche Homosexualität gilt hier nicht als Abweichung, sondern als eine Ursprungsnatur. Dennoch ist die klassische Antike eindeutig frauenfeindlich. Die Frau galt per se als unrein. Aber auch bei Männern war die Penetration problematisch: Der passive Part beim Anal- oder Oralverkehr war ehrenrührig, und zwar deshalb, weil man sich dabei in die Position der Frau begab. Das machten nur Sklaven oder Barbaren.
Das heißt natürlich nicht, dass die Praxis auch so aussah. Das war ein Ideal, das in der Lebenswelt kaum eine Entsprechung hatte, denn es ist ja ziemlich unpraktisch, wenn es nur aktive Männer gibt. Das kann man auch aus all den unverblümten Anspielungen in den Komödien von Aristophanes herausziehen, der zum Beispiel einige Promis „Klaffärsche“ nennt.

Was könnte unsere Gesellschaft denn heute noch von der antiken Vorstellung der Kugelmenschen und ihren drei Geschlechtern lernen?

Wir haben nach wie vor eine sehr dichotome Vorstellung  von Geschlecht. Männlich auf der einen Seite, weiblich auf der anderen Seite und dazwischen Schattierungen. Platon zeigt, dass es eine Vorstellung von Geschlechtlichkeit gibt, die eben nicht in dieser Zweiteilung liegt. Es gibt drei originäre Geschlechter, und das Mischgeschlecht, das wir seit der Aufklärung als die Norm betrachten, ist nur eines von Dreien. Sowohl männliche als auch weibliche Homosexualität sind ursprünglich und gleichwertig. Dass das moralisch anders bewertet wird, ist eine Sache, ontologisch bleibt die Gleichwertigkeit.

*Bernd Draser ist seit 2004 Lehrbeauftragter für Philosophie, Kulturwissenschaften und Nachhaltiges Design an verschiedenen Hochschulen. Er hat einen kulturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt und unterrichtet neben klassischen Texten der Philosophiegeschichte von Platon über Nietzsche bis Foucault auch kuriose Dinge wie „Hitchcock und der analytische Blick“, „Der Islam und Europa“, „Homers Ilias“, „Rituale“, „Wilde Frauten“ oder „James Bond und Theseus“. Besonders angetan hat es ihm die Frage, wie Nachhaltigkeit kulturgeschichtlich zu denken ist. Außerdem ist Bernd Draser überzeugt, dass Eros und Erkenntnis aufs Intimste miteinander verflochten sind.

Das komplette Interview gibt es in der Doppelausgabe des STRAIGHT Magazine. 

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