Warum eigentlich heiraten?

Kolumne

Written by Straight Redaktion

21. Juni 2018

Heiraten oder über staatlich-geregelte Verbindlichkeit in Polyamorenzeiten.

Im Juni 2017 war klar: Die Ehe für alle kommt. Seit Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten. So mit allem Drum und Dran und mit (fast) allen dazugehörigen Rechten. Also nichts wie los – oder? Eine gute Frage. Denn auch wenn der Weg frei ist, können wir denn überhaupt noch Ehe? Tinder, Findhrr & Co. haben uns doch längst gezeigt, dass die Nächste immer nur einen Swipe entfernt ist. Warum also heiraten, für immer binden und möglicherweise jede Menge Spaß verpassen? Unsere STRAIGHT-Autorin Kim Kastir hat sich auf die Suche gemacht.

Er und sie ehrfürchtig vor dem Traualtar. Die Orgel verstummt. Andächtig wird ihr der Schleier aus dem Gesicht gehoben. Beide hauchen ein „Ja, ich will“. Ringe werden getauscht, es folgt ein flüchtiger Kuss. Zack, verheiratet. So oder so ähnlich hat es angefangen, mit der bürgerlichen Ehe für heterosexuelle Paare. Dabei waren Hochzeiten selten die super romantische Apokalypse, wie wir sie uns gerne vorstellen, sondern ehrlicherweise eher ein Geschäft. Eine ledige Frau galt spätestens seit dem Mittelalter als bemitleidenswertes Freiwild – ohne Einkommen, ohne Familie, ohne Aufgabe. Eine christlich-traditionelle Hochzeit hingegen sicherte die Frau nicht nur wirtschaftlich ab, sondern auch gesellschaftlich.

Wie schön, dass der Bund fürs Leben heute aus anderen Gründen geschlossen werden kann. Aus Liebe zum Beispiel. Und nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern auch zwischen Mann und Mann und was mich besonders freut: zwischen Frau und Frau. Der Weg dorthin war lang und steinig. Von der Entkriminalisierung der Homosexualität Anfang der siebziger Jahre, über die Anpassung des Sittengesetzes in den Achtzigern bis zur Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001, steht es jetzt allen offen, sich fürs Leben zu binden, egal ob homo- oder heterosexuell. Und das ist eines der ältesten Bedürfnisse der Menschheit, sagt auch Miriam Junge, Diplom Psychologin und psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie aus Berlin.

„Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfnis. […] und Menschen sind grundsätzlich für Beziehung und Zusammensein geschaffen. Und nicht für Partner*innen-Hopping. Jeder der schon mal Tinder benutzt hat, merkt schnell, dass das ganze Daten irgendwann zu viel wird und nicht der Sinn des Lebens sein kann. Irgendwann stößt jeder an die Grenzen der Einsamkeit.“

In Zeiten von Dating-Apps und der geswipten Oberflächlichkeit ist das schwer zu glauben. Und wer in letzter Zeit Mal auf dem Single-Markt unterwegs war, kann wahrscheinlich eins bestätigen: Frau datet. So fünfmal die Woche. Gerne auch mit den Eltern oder Freunden. Oder sonntags zum Tatort. Aber eine Beziehung? Nein, danke. Für dieses Phänomen der Unverbindlichkeit gibt es bekanntlich sogar einen eigenen Begriff: Mingle nennt sich das. Kommt aus dem Englischen (Mixed-Single) und bedeutet, dass man halb in einer Beziehung ist, halb Single. Klingt nach Mett: halb und halb. Nach nichts Ganzem und nichts Halbem. Haben wir uns also über das Dating so beziehungsunfähig gemacht, dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, Verbindlichkeiten einzugehen. Geschweige denn, eine Ehe zu führen? Nein, sagt die Psychologin.

Beziehungsunfähig oder beziehungsängstlich?

„Ich glaube nicht an den großen Begriff beziehungsunfähig. Ich würde es eher beziehungsängstlich nennen. Erst mal muss man sehen, dass es einen Unterschied zwischen Land und Stadt gibt, wenn es um Hochzeiten geht. In Berlin heiraten durchschnittlich deutlich weniger Menschen. Das ist da nicht repräsentativ. Und in Zeiten, wo es ein Überangebot gibt, überlegt man sich gründlicher, ob man eine Beziehung will. Da sind die Deutschen aber generell zögerlicher. Lieber alles gut durchdenken. Aber ich erlebe in meinen Stunden immer häufiger, dass Paare versuchen ihre Beziehung zu retten als sie leichtfertig aufzugeben. Und auch die Zahl der Eheschließungen ist in den letzten Jahren konstant geblieben bzw. leicht angestiegen.“

Dass Berlin in Sachen Beziehung, Treue und Ehe auf Ewigkeit nicht repräsentativ ist, das glaube ich gerne. Meine Erfahrung: Hier werden Partner gerne mal nach Tageszeit gewechselt. Dass es aber auch anders geht, zeigen Kasia und ihre Frau Armina. Die beiden gebürtigen Polinnen sind seit 2001 ein Paar, kurz darauf haben sie sich in Berlin, ihrem Wohnort, verpartnert, nächstes Jahr wird noch mal geheiratet. Bei den beiden ging es quasi Knall auf Fall. Die Verpartnerung vorangetrieben hat allerdings Kasia. Der Besuch beim Standesamt ein Herzenswunsch. Warum?

„Ich wollte zeigen, dass ich aufhöre zu suchen. Ich wolle es offiziell bescheinigen, dass ich den Menschen fürs Leben gefunden habe.“

Also doch das Thema Zugehörigkeit! Dass man auch ohne Trauschein zusammengehören kann, ja, das wisse Kasia. Aber es gäbe dem Ganzen so einen „offiziellen“ Rahmen und es fühle sich richtig an – sagt sie mit einem so schönen, breiten Grinsen im Gesicht, dass sogar die Augen leuchten.

„Den Namen konnten wir nicht ändern, weil es in Polen Fragen gegeben hätte. Und das ist schwierig. Aber so sind wir auf dem Papier „verheiratet“. Ob jetzt verpartnert oder verheiratet … Für mich sind wir schon immer verheiratet. Wir haben uns das Versprechen gegeben, vor allen anderen, und feiern jedes Jahr wieder diesen tollen Moment. Es war eine so schöne Feier. Bis auf meine Nägel. Die würde ich nächstes Mal woanders machen lassen.“

„Die Ehe ist für mich als lesbische Person in unserer Gesellschaft ein politisches Statement.“

Wenn man Kasia und ihrer Frau so zuhört, gibt es nichts Schöneres, als sich einem Menschen zu versprechen und jeden Tag zu feiern, dass man sich gefunden hat. Das haben die beiden zwar schon mit der Verpartnerung getan, durch die „Ehe“ kommen jetzt aber noch mal neue Möglichkeiten und auch Rechte hinzu. Verbindlichkeit bedeutet eben nicht nur, sich einander in guten Tagen das Miteinandersein zu versprechen, sondern darüber hinaus auch die Verantwortung füreinander zu tragen – in guten wie an schlechten Tagen – und eventuell für gemeinsame Kinder zu sorgen. Ehe klingt daher auch ein stückweit nach Arbeit und nicht nur nach Vergnügen. Das Einlassen schafft Verpflichtung, davonrennen geht nur mit Anwalt. Warum heiraten Menschen also trotzdem? Ich überlege: Es könnte doch den Status der Ehe auch automatisch nach, sagen wir mal, zehnjähriger Beziehung geben. Man würde automatisch ein „Beziehungs-Level“ erreichen, mit dem man die gleichen Rechte, wie heute verheiratete Menschen hätte. Kasia versteht gar nicht, was ich von ihr will.

„Aber die Ehe ist doch eine bewusste Entscheidung. Das geht nicht. Das gibt es nirgendwo.“

Okay, okay. Es war ja nur so eine Idee. Ich merke schon, mit meiner Idee stoße ich nicht auf Gegenliebe. Vielleicht frage ich dazu lieber jemand anderen. Zum Beispiel eine Frau, die mit mehreren Partnerinnen in einer Beziehung lebt, also polyamor ist. Ich nenne sie Sara* und frage sie, was sie von der Ehe hält?

„Die Ehe ist für mich als lesbische Person in unserer Gesellschaft ein politisches Statement und eine gute Gelegenheit für eine fette Party. Es ist aber schön, wenn andere die Ehe als Symbol der Liebe feiern möchten.“

Für sie bedeutet Liebe etwas anderes als eine Unterschrift beim Notar. Liebe ist für sie auch frei zu leben. Ohne Begrenzung. Ich frage sie, wie es dazu kam, dass sie eine Verbindung mit mehr als nur einer Person eingegangen ist.

„Ich hab’ mich verliebt und versucht herauszufinden, wie ich lieben möchte und ob es für mich möglich ist, Wege zu finden, mit beiden Partnerinnen sein zu können. Solange man auf Menschen trifft, die ähnliche Wünsche oder die Offenheit haben, sich von traditionellen Mustern zu lösen, klappt das auch.”

Nun kann schon eine Partnerin sehr viel Zeit und Kraft in Anspruch nehmen. Wie ist es dann gleich mit mehreren Menschen so nah zu sein? Wie ist es um Verantwortung und Verbindlichkeit bestellt:

„Der Alltag unterscheidet sich nicht stark von Beziehungen, die ich nur mit einem Menschen hatte. Mein Wille ist nun eben doppelt so groß um z. B. zeitliche Kapazitäten für beide aufzubringen.“

Das klingt nach Aufwand und nach Beziehung im klassischen Sinne, die sogar noch in einer Ehe enden könnte  – nur eben plus eins. Und es klingt nach mehr Zeit für Partnerschaft, mehr Liebe, mehr Verantwortung und Verbindlichkeit. Ich muss zugeben, mich erstaunt das ehrlicherweise, irgendwie hatte ich eine unverbindlichere Haltung erwartet. Vielleicht gibt es die eine Antwort auf die Frage, warum Menschen heutzutage noch heiraten, nicht. Menschen heiraten aus ganz vielen, unterschiedlichen Motiven. Einfach aus Liebe zu heiraten ist dabei natürlich die schönste Vorstellung. Romantisch eben. Als Frau, die Frauen liebt, gibt es aber noch andere Motive, den Bund der Ehe einzugehen: Das Recht darauf, eine Familie gründen zu dürfen zum Beispiel. Oder, wie Sara* es nennt, „ein politisches Statement“ abzugeben.

Fakt ist, Menschen scheuen sich auch heute nicht davor, Verbindlichkeiten einzugehen.

Das bestätigt auch das Statistische Bundesamt: Die Zahl der jährlich geschlossenen Hochzeiten steigt wieder, die Scheidungsrate bleibt konstant. Paare überlegen eben nur etwas länger als früher, bevor sie den Schritt zur Ehe wagen. Immerhin muss heute nicht mehr geheiratet werden. Es ist eine bewusste Entscheidung füreinander. Und im besten Fall für immer.

Ob wir also Ehe können? Finden wir es doch einfach heraus! Jetzt können wir es ja. Und mal ehrlich: Anstatt ständig nach links und rechts zu swipen, belangloses Zeug zu erzählen und sich immer dann aus dem Staub zu machen, bevor es ernst wird, könnte es doch ein viel größeres Abenteuer sein, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Seite an Seite.

In diesem Sinne: Nur Mut. Traut euch!

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